Vorrede
Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse:
daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch
die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann;
denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.
In diese Verlegenheit gerät sie ohne ihre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an,
deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch
diese hinreichend bewährt ist. Mit diesem steigt sie (wie es auch ihre Natur
mit sich bringt) immer höher, zu entfernteren Bedingungen.
Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäft jederzeit unvollendet bleiben müsse,
weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genötigt, zu Grundsätzen
ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten
und gleichwohl so unverdächtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft
damit im Einverständnisse steht. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche,
aus welchen sie zwar abnehmen kann, daß irgendwo verborgene Irrtümer
zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann,
weil die Grundsätze, deren die sich bedient, da sie
über die Grenze aller Erfahrung hinausgehen,
keinen Probierstein der Erfahrung mehr anerkennen.
Der Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten heißt nun Metaphysik.
Es war eine Zeit, in welcher sie die Königin aller Wissenschaften genannt wurde,
und wenn man den Willen für die Tat nimmt, so verdiente sie,
wegen der vorzüglichen Wichtigkeit ihres Gegenstandes,
allerdings diesen Ehrennamen. Jetzt bringt es der Modeton des Zeitalters
so mit sich, ihre alle Verachtung zu beweisen und die Matrone klagt,
verstoßen und verlassen, wie Hecuba: modo maxima rerum, tot generis
natisque potens - nunc trahor exul, inops - Ovid. Metam.